Emanuel
Swedenborg
Die wahre christliche Religion
Das Original von 1768:
VERA CHRISTIANA RELIGIO,
continens universam
THEOLOGIAM NOVAE ECCLESIAE,
a domino apud Danielem Cap. VII 13, 14 et in
Apocalypsi Cap. XXI 1, 2 praedictae, ab Emanuele Swedenborg, Domini Jesu
Christi servo
Amstelodami MDCCLXXI
Aus dem Lateinischen von Friedemann Horn.
*
THEOLOGIE DER NEUEN KIRCHE
wie sie vom Herrn bei
Daniel Kapitel 7, 13. 14 und in der Offenbarung Kapitel 21, 1. 2 - vorausgesagt
wurde.
Von Emanuel
Swedenborg, einem Diener des Herrn
JESU CHRISTI
VERA
CHRISTIANA RELIGIO, continens universam THEOLOGIAM NOVAE ECCLESIAE, a domino
apud Danielem Cap. VII 13, 14 et in Apocalypsi Cap. XXI 1, 2 praedictae, ab
Emanuele Swedenborg, Domini Jesu Christi servo Amstelodami MDCCLXXI
*
DANIEL VII 13, 14
"Ich sah in den Gesichten der Nacht, und siehe, mit der
Himmel Wolken kam einer wie ein Mensch. Und diesem ward gegeben Herrschaft,
Herrlichkeit und Reich, und alle Völker, Nationen und Zungen werden Ihn
verehren. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vorübergeht,
und Sein Reich wird nicht vergehen."
*
OFFENBARUNG XXI 1, 2,
9, 10, 5
"Ich, Johannes, sah einen neuen Himmel und eine neue
Erde. Und ich sah die heilige" Stadt, das neue Jerusalem, herabkommen von
Gott aus dem Himmel, zubereitet wie eine Braut, geschmückt für ihren Mann. Und
der Engel sprach zu mir und sagte: Komm, ich will dir die Braut, des Lammes
Weib, zeigen. Und er entrückte mich im Geist auf einen großen und hohen Berg,
und zeigte mir die große Stadt, das heilige Jerusalem, herabkommend aus dem
Himmel von Gott. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, Ich mache alles neu!
Und Er sprach zu mir: schreibe, denn diese Worte sind wahr und gewiß!
*
Ins Deutsche übersetzt in den Jahren 1855-1859 von Prof. Dr.
Immanuel Tafel. Neu übertragen von Friedemann Horn.
*
Vorwort des Herausgebers
Das Werk »Die Wahre Christliche Religion«, von Emanuel
Swedenborg im Jahre 1771 in lateinischer Sprache und ab 1784 von verschiedenen
Übersetzern mehrfach in deutscher Sprache veröffentlicht, bildet zugleich den
Abschluß und einen der Höhepunkte der visionären Theologie des großen Schweden.
Wenigen Menschen ist es vergönnt, noch im höchsten Alter — Swedenborg zählte 81
Jahre, als er 1769 mit der Arbeit an diesem monumentalen Werk begann —
derartiges zu vollbringen. Der Marburger Kirchenhistoriker Ernst Benz spricht
in seinem vorstehend abgedruckten Geleitwort mit Recht von einer einzigartigen
Leistung.
Leider ließen sich tonangebende Vertreter der Wissenschaft
und der Kirche aufgrund von Vorurteilen, mangelnder Kenntnis oder auch
ausgesprochen bösem Willen dazu verleiten, Swedenborg als Erzphantasten unter
allen Phantasten, als rasenden Schwärmer oder als nachweislichen Geisteskranken
zu bezeichnen. Wenn Swedenborg dies war, dann waren es auch die Propheten und
Apostel, ja letztlich Jesus selbst, und wir täten gut daran, unseren
christlichen Glauben schleunigst gegen die angeblich realistischere
Weltanschauung der Wissenschaft zu vertauschen. Denn der Vorwurf der Phantasterei,
des Schwärmertums und der Geisteskrankheit kann im Falle Swedenborgs allein
damit begründet werden, daß er — Visionen und Offenbarungen hatte. Letztlich
beruht aber alle Religion, und ganz besonders die christliche, darauf, daß
einzelne begnadete Menschen einen Blick hinter jenen Vorhang werfen dürfen, der
uns gewöhnlichen Sterblichen die geistige und göttliche Welt verhüllt, oder daß
ihnen aus uns unzugänglichen Bezirken Offenbarungen zu kommen, während wir
anderen ihnen Glauben schenken, sei es weil unser Innerstes sich angesprochen
fühlt, sei es weil wir selber ähnliche, wenn auch weit schwächere Erfahrungen
gemacht haben. Der Leser wird mehr darüber in unseren Ausführungen in
Denkwürdigkeiten und Anhang finden.
Das Besondere an Swedenborgs Schau und Offenbarung ist nun,
daß sie von uns nicht das Opfer unseres Verstandesvermögens fordert, sondern im
Gegenteil auf dessen Bedürfnisse Rücksicht nimmt, vorausgesetzt, daß sie nicht
bloßer Zweifelssucht, sondern dem Willen zur Wahrheit entspringen. In einer seiner
großartigsten Visionen liest Swedenborg über der Eingangspforte des
lichtdurchfluteten Tempels der neuen Kirche des Herrn die Inschrift: Nunc
licet. Es zeigt sich, daß diese geheimnisvollen Worte bedeuten: Nun ist es
erlaubt, mit Hilfe des Verstandes in die Geheimnisse des Glaubens einzudringen.
Das »nun« will sagen: nachdem die Hauptlehren der christlichen Religion in
göttlichem Auftrag von Grund auf neu dargelegt worden sind und infolgedessen
den Gesetzen der Vernunft nicht mehr zuwiderlaufen.
Die »Wahre Christliche Religion« ist zuletzt in den Jahren
1855-1859 von Prof. Dr. Immanuel Tafel, dem unermüdlichen Tübinger Vorkämpfer
der neuen Kirche im deutschen Sprachgebiet, ins Deutsche übersetzt worden. Von
der letzten Auflage dieser gewissenhaften Arbeit waren bis vor einigen Jahren
noch geringe Restbestände im Buchhandel erhältlich. Heute sind sie, wie alle
anderen Ausgaben dieses Werkes, vollständig vergriffen. Aus Gründen, über die
wir uns in der Vorrede zu Band 2 der Swedenborg-Bücherei ausführlich geäußert
haben, kam ein Nachdruck oder eine Revision einer der bisherigen Übertragungen
nicht in Frage. Sie waren vor allem samt und sonders zu wörtlich, um den
heutigen Leser noch ansprechen zu können.
Wie aber sollte eine neue Übersetzung aussehen? Auch darüber
haben wir am genannten Ort alles Nötige gesagt, so daß wir uns hier auf wenige
allgemeine Hinweise beschränken können. Es galt vor allem, zwei Extreme zu
vermeiden: einmal die sture Wortwörtlichkeit, und zum anderen die willkürliche
Modernisierung um der Modernisierung willen. Es wäre ja nicht allein
stilwidrig, Swedenborgs nüchternes Latein in ein modernes Roman- oder
Zeitungsdeutsch zu verwandeln, das sich von jedermann ohne Schwierigkeit lesen
ließe, es wäre auch ganz und gar unmöglich, ohne den kostbaren Inhalt zu
verwässern. Zudem gilt es zu bedenken, daß Swedenborg im 18. Jahrhundert lebte
und dachte, und daß er als peinlich exakter Wissenschaftler lebte und dachte.
Seine Ausdrucksweise ist dadurch fest geprägt. Daran etwas Grundlegendes ändern
wollen, um oberflächlichen Lesern zu gefallen, wäre gleichbedeutend mit
Fälschung. Ebenso unangebracht wäre es aber andererseits, diese Ausdrucksweise
Wort für Wort ins Deutsche zu übernehmen. Wer würde dann das Buch noch lesen?
Außer jenen wenigen, die seinen kostbaren Inhalt bereits kennen, gewiß niemand;
denn was im lateinischen Original oft schon kompliziert genug ist, würde im Deutschen
vollends unerträglich. Übersetzen heißt: den ganzen Inhalt des Urtexts in die
Sprache der Übersetzung so umgießen, daß nichts, nicht einmal eine Nuance,
verloren geht. Aber welchem Übersetzer wäre dies je gelungen?
Fast unlösbar erscheint das Problem der Übertragung
grundlegender Begriffe, die immer wieder vorkommen, und in die Swedenborg
derart viele, z.T. ganz neue Bedeutungen und Nebenbedeutungen hinein gelegt
hat, daß sich ein völlig gleichwertiges Wort im Deutschen beim besten Willen
nicht finden oder bilden lassen will. Wir haben am Ende des Vorworts einige
besonders wichtige Beispiele dem Text des Werkes vorausgeschickt, um den Leser
auf diese Schwierigkeit hinzuweisen und ihn zu veranlassen, in solchen Fällen,
da auch der jeweilige Zusammenhang die Bedeutung des fraglichen Wortes nicht
restlos erhellt, im WCR-Index nachzuschlagen. Den als Beispiele aufgeführten und
vielen anderen Begriffen hat Swedenborg aus seiner übersinnlichen Schau und aus
seinen theologischen und philosophischen Einsichten heraus neue Bedeutungen
hinzugefügt, die sich, da er nun einmal keine neuen Wörter für sie prägte, oft
nur aus den verschiedenen Anwendungen ergeben, die ihnen zuteil werden. Darüber
aber gibt der Index Aufschluß.
Dieser Anreicherung alter lateinischer Wörter mit neuen
Inhalten steht andererseits oft eine zunehmende Verarmung oder Einengung der
entsprechenden deutschen Wörter gegenüber. Der oben angeführte Satz aus der
Vision des Tempels der neuen Kirche enthält ein bezeichnendes Beispiel dafür:
Nun ist es erlaubt, mit Hilfe des Verstandes in die Geheimnisse des Glaubens
einzudringen. Der heutige Gebrauch des Wortes Verstand kann zu der irrigen
Vorstellung verleiten, daß Swedenborg einem »dürren Intellektualismus« in der
Religion das Wort geredet habe. Erst der Zusammenhang der Stelle, in Verbindung
mit einer Reihe weiterer Stellen, macht deutlich, daß das ganz und gar nicht der
Fall ist.
Häufig wird behauptet, Swedenborg sei weitschweifig und
wiederhole sich oft, seine Schriften sollten daher allesamt kräftig gekürzt
werden. Es trifft zu, daß dadurch allen jenen Lesern gedient wäre, denen es in
erster Linie auf rasche Information ankommt, über die man freilich ebenso rasch
wieder zur Tagesordnung des gewohnten Denkens hinwegschreiten kann. Gerade
darauf aber hat es Swedenborg nicht abgesehen. Es ist ferner richtig — und das
ist kein Widerspruch —, daß der vom Anfang bis zum Ende fortlaufend Lesende
tatsächlich mancher Wiederholung entraten und aus einer knapperen
Darlegungsweise Nutzen ziehen könnte. Aber Swedenborg rechnet nicht nur mit dem
idealen Leser, und er ist sich zudem der Neuartigkeit und des Ungewöhnlichen
vieler seiner Gedanken bewußt. So ist er lieber ein wenig umständlich, hat aber
dabei Gewähr, daß auch einfache oder unzusammenhängend vorgehende Leser, die
seine Bücher nur durchsehen oder bestimmter Punkte wegen nachschlagen, stets
den Zugang zum Wesentlichen finden können. Damit soll natürlich nicht gesagt
sein, daß nicht auch Auszüge aus seinen Werken, die das Wichtigste knapp
zusammenfassen, ihren Wert haben können. Im übrigen ist die Gliederung des
Werkes so klar, daß man jederzeit die wesentlichen Gedanken herausziehen kann,
ohne das Ganze von A bis Z lesen zu müssen.
Man hat auch gemeint, die zahlreichen Vergleiche, deren
Swedenborg sich zur Beleuchtung seiner Gedanken bedient, trügen viel dazu bei,
daß der Eindruck der Weitschweifigkeit entsteht, und daher den Vorschlag
gemacht, hier kräftige Streichungen vorzunehmen. Aber diese Vergleiche haben
ebenfalls ihren Sinn: Einfache Leser gelangen auf diese Weise besser zur
Erkenntnis als durch zergliedernde Ableitungen aus dem Göttlichen Wort und aus
der Vernunft (Nr. 131).
Schließlich wird zuweilen der Vorschlag gemacht, die vielen
memorabilia, d.h. denkwürdigen Erlebnisse Swedenborgs in der visionären Schau,
die gewöhnlich den Abschluß der einzelnen Abschnitte seiner Werke bilden, zu
streichen. Sie seien, so hört man, dem Durchschnittsleser ohnehin ein Stein des
Anstoßes; er gerate dadurch in Versuchung, alles, auch das an sich
Einleuchtende, für eine Ausgeburt der Phantasie zu halten. Es ist richtig, daß
sich viele an den Visionsberichten stoßen. Nicht nur typische Vertreter des
naturwissenschaftlichen Materialismus, sondern auch protestantisch
Aufgewachsene sind häufig voller Mißtrauen gegenüber jeder Art übersinnlichen
Erlebens. Da sie selbst meist nie etwas Ähnliches erlebt haben, meinen sie,
andere könnten auch nichts wirklich Übersinnliches erleben, sondern
phantasierten nur davon. Dabei sollte der Protestant wissen, daß sein Glaube
auf der übersinnlichen Schau des Auferstandenen durch die Apostel und ersten
Christen beruht. Und der Anbeter der naturwissenschaftlichen Erkenntnisweise
sollte sich klar darüber sein, daß gerade die entscheidenden Naturkräfte
übersinnlich sind und nur an ihren Wirkungen erkannt werden können. Swedenborgs
Lehre aber ist nicht zuletzt die Wirkung seiner visionären Schau.
Gewiß könnten seine Werke durch Streichung der
Visionsberichte wesentlich verkürzt werden — allein der erste Band der »Wahren
Christlichen Religion« würde dadurch von 300 auf 200 Seiten zusammenschmelzen
—‚ aber die Visionen sind nun einmal die wichtigste Quelle der ihm
gewordenen neuen Erkenntnisse! In einem Brief an Dr. Beyer, einen
schwedischen Theologen seiner Tage, schreibt Swedenborg selbst darüber am 8.
April 1766: Am Schlusse eines jeden Kapitels befinden sich vom Text durch
Sterne getrennte memorabilia, welche Sie gefälligst zuerst lesen wollen (es
handelt sich um »Die Enthüllte Offenbarung«). Die Visionsberichte streichen
wollen, hieße Grundlegendes streichen. Wer nicht bereit ist, seinen Standpunkt
gegenüber diesem übersinnlichen Erleben zu ändern, wird ohnehin mit Swedenborgs
Darstellung der „Wahren Christlichen Religion“ nichts anfangen können. Wie sehr
dieses Erleben ein Teil seiner Sendung ist, zeigen seine Worte: Da mir der Herr
die Gabe verliehen hat, all die Wunder in den Himmeln und unter den Himmeln zu sehen,
so habe ich auftragsgemäß auch darüber zu berichten (WCR 188).
Diese Stelle spricht übrigens gegen die meist von
katholischer Seite geäußerte Ansicht, was Swedenborg widerfahren sei, könne
allenfalls unter die Privatoffenbarungen eingereiht werden, die der Herr von
Zeit zu Zeit einzelnen Christen zuteil werden lasse. Nein, Swedenborg behauptet
hier und an vielen anderen Stellen, in göttlichem Auftrag zu handeln, wenn er
das ihm Offenbarte durch den Druck allen Menschen zugänglich macht. Er ist, wie
Ernst Benz sagt, ein echter christlicher Prophet, weil seine Verkündigung der
Kirche gilt.
*
Schließlich noch einige Hinweise zur äußeren Gestalt der
neuen Übertragung:
1. Sämtliche Anmerkungen unter dem Strich stammen vom
Übersetzer. Sie dienen dem besseren Verständnis und sollen meist auf
Zusammenhänge aufmerksam machen oder schwierige Ausdrücke erklären.
2. Die numerierten Anmerkungen hingegen finden sich im
vierten Band. Es handelt sich dabei in der Regel um Auslassungen von
Bibelzitaten, die für den Leser nicht von unmittelbarem Interesse sind — es sei
denn, daß er geradezu theologische Studien betreiben möchte.
3. Die fortlaufende Numerierung der einzelnen Paragraphen
stammt von Swedenborg selbst und erleichtert wesentlich das Auffinden und
Nachschlagen bestimmter Stellen in den zahlreichen verschiedenen Übersetzungen
und Ausgaben. Die oben zitierte Stelle, aus der Vision des Tempels der neuen
Kirche mag in einer Ausgabe auf Seite 622, in einer anderen auf Seite 330, und
in einer dritten auf Seite 584 stehen, aber überall findet man sie auf den
ersten Anhieb unter der Nummer 508.
4. Die weitere Unterteilung dieser Paragraphen nach den
Buchstaben des Alphabets stammt nicht von Swedenborg. Sie entspricht den
Ziffern der neueren amerikanischen und englischen Ausgaben sämtlicher Werke
Swedenborgs und erleichtert noch zusätzlich die Auffindung von Stellen,
besonders in sehr langen Paragraphen. Wenn man z. B. wissen will, wo Swedenborg
über eine bestimmte Bibelstelle geschrieben hat, so kann man in Searle‘s »General
Index« der Bibelzitate des Sehers nachschlagen und findet dort nicht allein die
Angabe des betreffenden Werkes und Paragraphen, sondern auch — falls es sich um
einen längeren Paragraphen handelt — den entsprechenden Abschnitt desselben.
Für jemanden, der viel mit den Werken Swedenborgs zu tun hat, ist das eine
erhebliche Erleichterung, und wir hoffen, diese praktische Methode der
Engländer und Amerikaner nach und nach bei allen deutschen Neuausgaben
übernehmen zu können. Aus Gründen der besseren Übersicht und der Ästhetik haben
wir diese Methode freilich insofern etwas abgeändert, als wir anstelle der
Paragraphenunterteilung durch in Klammern gesetzte fortlaufende Ziffern die
Buchstaben des Alphabets verwendet haben. Ein kleines ‚b‘ steht also für ein (2),
ein kleines ‚f‘ für ein (6) usw. Die angeführte Stelle aus der Vision des
Tempels wird man in Zukunft in einem deutschen Index zu den Werken Swedenborgs
unter dem Hinweis finden: WCR 508 c, während sie sich in der englischen »Potts
Swedenborg-Concordance« unter der Ziffer 508, 3 findet.
5. Die Bibelzitate sind nicht immer genau nach Swedenborg
wiedergegeben, da Swedenborg sich oft der heute in manchen Stücken überholten,
seinerzeit freilich führenden lateinischen Bibelübersetzung von Sebastian
Schmidt aus dem Jahre 1696 bediente. In Fällen, da dies nötig erschien, haben
wir darauf aufmerksam gemacht.
Dr. Friedemann Horn
*
Ein wichtiger Hinweis
Wie im Vorwort des Herausgebers ausgeführt, lassen sich
manche grundlegenden Begriffe des lateinischen Originals der »Wahren
Christlichen Religion« nicht zufriedenstellend ins Deutsche übertragen. Der
Leser wird ihre Bedeutung entweder dem jeweiligen Zusammenhang, oder aber dem
Index in Band IV (Buchausgabe) entnehmen können. Nachstehend sind einige dieser
Begriffe als Beispiele angeführt und in knappster Form erläutert:
Wille (voluntas)
gemeint ist letztlich der
Persönlichkeitskern des Menschen, sein Sein oder innerstes Streben.
Verstand (intellectus)
zu unterscheiden sind ein
unterer und ein oberer Verstand; ersterer ist das Empfangsorgan für die
natürlichen, letzterer für die göttlichen Wahrheiten.
Geist (spiritus)
das Aufnahmsgefäß für das
Leben des Gemüts, nicht der »dürre Intellekt«.
Gemüt (mens)
der aus Wille und Verstand
bestehende Mensch, ein geistiger Organismus, der in einen natürlichen ausläuft.
Nutzwirkung (usus)
das Gute, das mit Verstand, d.
h. aus dem Wahren getan wird.
Nächster (proximus)
das Gute, das von Gott her im
einzelnen oder in den menschlichen Gesellschaftsbildungen ist, im höchsten
Sinne Gott selbst.
Nächstenliebe (caritas)
der Trieb der Liebe, anderen
um Gottes willen zu nützen, Gutes zu tun.
Dr. Friedemann Horn
*
Der Glaube des Neuen Himmels und der
Neuen Kirche
*1. Dieser Glaube in seiner
allgemeinen und besonderen Form wird dem folgenden Werke vorausgeschickt. Er
stellt gleichsam dessen Antlitz dar und dient zugleich als kurzer Abriß, der
die später zu entwickelnden Einzelheiten zusammenfassend vorwegnimmt, und
schließlich bildet er die Eingangspforte, die den Weg ins Innere des Tempels
öffnet. Er heißt der Glaube des neuen Himmels und zugleich der neuen Kirche,
weil der Himmel der Engel und die Kirche der Menschen auf ähnliche Weise
zusammenhängen und -wirken, wie das Innere und das Äußere im einzelnen
Menschen. Aus diesem Grunde ist auch jeder Angehörige der Kirche —
vorausgesetzt, daß er sich im Guten der Liebe aus den Glaubenswahrheiten und in
den Glaubenswahrheiten aus dem Guten der Liebe befindet — schon jetzt seinem
inneren Gemüt nach ein Engel des Himmels und gelangt auch nach dem Tode in den
Himmel, wo er sich je nach dem Grade, in dem das Gute und Wahre bei ihm
verbunden ist, der Glückseligkeit erfreut. Man soll daher wissen, daß dieser
Glaube in dem neuen Himmel, der gegenwärtig vom Herrn gebildet wird, als
Antlitz, Eingangspforte und kurzer Abriß der Glaubensinhalte dient.
*2. Der Glaube des neuen Himmels
und der neuen Kirche in seiner allgemeinen Form ist folgender:
Der Herr von Ewigkeit, Jehovah‚ kam in die Welt, um die
Höhen zu unterwerfen und Sein Menschliches zu verherrlichen. Anders hätte kein
Sterblicher gerettet werden können; und wer an Ihn glaubt, wird gerettet.
*) Das Tetragramm JHVH wird heute meist ‚Jahwe’ gelesen;
letzte Gewißheit über die Aussprache des Heiligen Namens gibt es jedoch nicht.
b - Dies wird darum als die
allgemeine Form des Glaubens bezeichnet, weil es das Allumfassende des Glaubens
ist, das sich sowohl im Ganzen wie in allen Einzelheiten finden muß. Dazu
gehören folgende Grundsätze, die den Glauben an den Herrn betreffen:
Gott ist dem Wesen und der Person nach Einer. In Ihm besteht
eine Göttliche Dreieinheit, und der Herr, unser Gott und Heiland Jesus Christus
ist dieser Eine Gott. Wäre der Herr nicht in die Welt gekommen, so hätte kein
Sterblicher gerettet werden können. Er kam in die Welt, um die Hölle vom
Menschen zu entfernen, und Er hat sie entfernt durch Kämpfe wider sie und Siege
über sie. Auf diese Weise hat Er sie unterworfen, in die Ordnung und zum
Gehorsam Ihm gegenüber zurückgebracht. Der Herr kam ferner in die Welt, um das
Menschliche, das Er hier annahm, zu verherrlichen, das heißt mit dem Göttlichen
zu vereinigen, von dem es stammte. Auf diese Weise hält Er die Hölle auf ewig
in Ordnung und im Gehorsam Ihm gegenüber.*
*) Damit soll nicht gesagt sein, daß die Höhen seither dem
Herrn ebenso gehorchen wie die Himmel; sie gehorchen Ihm vielmehr nur
zähneknirschend, weil sie Seine überlegene Macht erfahren mußten. Wäre es
anders, so wären aus den Höhen Himmel geworden.
Weil dies nicht anders als durch Versuchungen geschehen
konnte, die gegen Sein Menschliches zugelassen wurden — bis hin zur letzten
Versuchung, dem Leiden am Kreuz‚ so hat Er sich dem unterzogen.
c - Die allgemeine Form des
Glaubens auf seiten des Menschen besteht darin, daß er an den Herrn glauben
soll; denn dadurch, daß man an Ihn glaubt, wird eine Verbindung mit Ihm und so
das Heil bewirkt. An Ihn glauben aber heißt: Vertrauen zu Ihm haben, daß Er
retten will. Weil aber nur Vertrauen haben kann, wer gut lebt, so ist auch dies
unter dem Glauben an Ihn zu verstehen. Und dies lehrt der Herr bei Johannes:
Das ist der Wille des Vaters, daß jeder, der an den Sohn
glaubt, ewiges Leben habe (Joh. 6, 40), und anderwärts bei Johannes heißt es:
Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben, wer aber nicht an den Sohn glaubt,
der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes* bleibt auf
ihm (3,36).
*) Diese Worte spricht Johannes der Täufer; der Ausdruck
‚Zorn Gottes entspricht nicht einer Realität in Gott, sondern im sündigen
Menschen, der Gott nicht anders denn zornig denken kann. Nach Jesu Worten
sollen ja sogar wir Menschen nie zürnen, sondern immer zur Vergebung bereit
sein; man vergleiche dazu unten Nr. 409.
*3. Dies aber ist der Glaube des
neuen Himmels und der neuen Kirche in seiner besonderen Form: Jehovah ist die
Liebe und Weisheit oder das Gute und Wahre selbst. Er kam herab als das
Göttliche Wahre, das »Wort«, welches bei Gott war, und nahm das Menschliche an,
um alles im Himmel, alles in der Hölle und alles in der Kirche in Ordnung zu
bringen. Dies war notwendig geworden, weil damals die Macht der Hölle die Macht
des Himmels, und auf Erden die Macht des Bösen die Macht des Guten überwog.
Eine vollständige Verdammnis stand deshalb vor der Tür und drohte
hereinzubrechen. Durch Sein Menschliches, das Göttliche Wahre, hat Jehovah Gott
diese bevorstehende Verdammnis aufgehoben, und so erlöste Er Engel und
Menschen. Hernach aber vereinigte Er in Seinem Menschlichen das Göttliche Wahre
mit dem Göttlichen Guten, die Göttliche Weisheit mit der Göttlichen Liebe, und
auf diese Weise ist Er — zugleich mit und in dem verherrlichten Menschlichen —
in Sein Göttliches zurückgekehrt, in dem Er von Ewigkeit war. Dies ist es, was
man unter den folgenden Worten bei Johannes zu verstehen hat:
Das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort... Und das Wort
ward Fleisch (1,1.14). Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen
und verlasse wieder die Welt und gehe zum Vater (16,28). Wir wissen, daß der
Sohn gekommen ist und uns Einsicht gegeben hat, den Wahren zu erkennen; und wir
sind in dem Wahren, in Seinem Sohne Jesus Christus. Dieser ist der wahre Gott
und das ewige Leben (1.Joh.5 20).
Aus diesen Stellen geht klar hervor, daß ohne das Kommen des
Herrn in diese Welt niemand hätte gerettet werden können. Ähnlich ist es heute;
käme daher der Herr nicht noch einmal in die Welt, und zwar im Göttlich-Wahren,
das heißt im Wort, so könnte niemand gerettet werden.
b- Das Besondere des
Glaubens auf seiten des Menschen besteht in folgendem:
-
Gott ist Einer, in Ihm besteht eine Göttliche Dreieinheit;
-
und dieser Eine Gott ist der Herr Jesus Christus, unser Gott und
Heiland.
-
Der heilbringende Glaube besteht darin, an Ihn zu glauben.
-
Man soll nichts Böses tun, weil alles Böse des Teufels und vom
Teufel ist.
-
Man soll vielmehr Gutes tun, weil alles Gute Gottes und von Gott
ist.
-
Und dies soll der Mensch wie von sich selbst aus tun; dabei aber
soll er glauben, daß es vom Herrn und durch den Herrn geschieht, der bei ihm
ist.
Die beiden ersten Sätze beziehen sich auf den Glauben, die
beiden folgenden auf die Nächstenliebe, der letzte auf die Verbindung von
Nächstenliebe und Glaube, das heißt auf die Verbindung des Herrn und des
Menschen.
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[Die # Nummer der Anmerkungen beziehen
sich auf die "Himmlischen Geheimnisse".]
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[VH-LIF / 2009]